Von Kirlian zur Kunst

von Werner Fischer

erschienen in MADAME Nr. 12, Dezember 1996, S. 236

Ungewöhnlich: Ein Arzt "er-findet" eine neue Kunstform, die Lumineszenz-Graphik. In diesem Heft wird sie erstmals den kunstinteressierten Leserinnen präsentiert - als MADAME-Edition.
Die Bilder bestechen durch expressiv leuchtende Farben und ästhetisch faszinierende Formen: Abstrakt erscheinende Abbilder der Natur, denen nicht mehr anzusehen ist, daß sie von Pflanzenblättern stammen.
Der ehemalige Klinikchef Dr. Einar Göhring, Arzt, Wissenschaftler und Computer-Experte, der Schöpfer dieser frappierend-neuartigen Lumineszenz-Graphik, beschäftigt sich schon seit langem mit der Kirlian-Photographie. Dabei handelt es sich um ein experimentelles photographisches Verfahren, dessen Grundlagen schon der Physiker Tesla um 1885 geschaffen hat. Das russische Ingenieurs-Ehepaar Semjon und Valentina Kirlian hat, um die Mitte dieses Jahrhunderts, weiter mit diesem Verfahren experimentiert und ihm den Namen gegeben.
Bei der Kirlian-Photographie wird ein Film zwischen einer isolierten Metallplatte und einem Objekt durch eine Hochspannungs-Entladung belichtet, wobei eine Kamera nicht erforderliche ist. Um das Objekt herum ist ein Kranz bunter Blitze zu erkennen, eine Aura oder Corona, die schon immer zu vielerlei Spekulationen Anlaß gaben.
Mittelalterliche Alchimisten waren von einem metaphysischen Astralkörper überzeugt, ebenso der berühmte Arzt Paracelsus. Der "Heiligenschein" soll die Aura sichtbar gemacht haben. Dr. Franz Anton Mesmer (1734-1815), der Wiener Arzt und "magnetische Heiler", bestand darauf, die "kranke Aura" seiner Patienten wohltuend beeinflussen zu können. Und der deutsche Chemiker und Naturphilosoph Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach (1788-1869) nannte die geheime Kraft "Od", die universelle Energie.
War es den Kirlians gelungen, diese mystische Kraft als photographisch dokumentierte Aura zu beweisen? Der Leningrader Chirurg Professor Gaikin machte noch eine interessante Entdeckung: Mit dem Kirlian-Verfahren stellte er fest, daß bestimmte Stellen der menschlichen Haut heller strahlen als andere - es sind exakt die Akupunkturpunkte der chinesischen Volksmedizin.
"Auch die von Baron Reichenbach beschriebenen Od-Phänomene müssen dem Erscheinungsbild nach Hochspannungs-Entladungen gewesen sein", meint Dr. Göhring, "nur konnten sie damals noch nicht im Bild festgehalten werden."
Es war die Absicht des Ingenieurs Kirlian, seine Fotos für diagnostische Zwecke in der Medizin einzusetzen.
Doch diese Hoffnungen erwiesen sich als zweifelhaft. Der Mediziner Göhring sagt: "Ein lebender Organismus ist während verschiedener Phasen des Tages, abhängig von all den biologischen Rhythmen und Stoffwechselvorgängen, in unterschiedlicher biologischer Verfassung. Daraus resultiert, daß zu verschiedenen Tageszeiten aufgenommene Kirlian-Fotografien jeweils variierende Ergebnisse erbringen.
Diese Einschränkungen für die medizinische Diagnostik brachten Dr. Göhring auf die Idee, sich eingehend mit den ästhetischen Aspekten der Kirlian-Photographie zu befassen.
Auch Pflanzenblätter, ganz beliebige vom Wegesrand, vielfältig in Form und Struktur, sind geeignet für das Kirlian-Verfahren, denn auch bei ihnen läßt sich eine elektrische Aura feststellen.
"Wenn man solche Blätter auf einen Film legt und ihn belichtet, bekommt man grafisch sehr interessante Bilder", erklärt Einar Göhring. Die Diapositive läßt er dann auf Foto-CDs überspielen und von dort in den Computer eingeben: Die Dias werden digital gespeichert. Damit sind die ehemaligen Pflanzenblätter in unvergänglichen Bits und Bytes angelegt.
Nach diesen technischen Prozeduren beginnt nun die Arbeit des Künstlers Einar Göhring. Mit Hilfe von aufwendigen Bildbearbeitungs-Programmen, die er in jahrelanger Arbeit selbst entwickelt hat, gestaltet er die Fotos um, variiert die Farben und Strukturen, so daß die Ursprünge, nämlich die Pflanzenblätter, nicht mehr erkennbar sind. Was entsteht, sind geheimnisvolle Graphiken von ganz eigentümlichem Reiz, Aura-Bilder, Licht-Bilder im wahren Wortsinn, wie es sie bisher nicht gab, eben Lumineszenz-Graphik. Es sind faszinierende Kreationen eines Arztes, der durch sein naturwissenschaftliches Experimentieren zu einem eigenständigen Künstler wurde.


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