kir024.jpg

Kirlian-Fotografie

Filigrane Kristalle, mit Licht gemalt

von A. Endres

erschienen im Deutschen Ärzteblatt 95, Heft 17, 3. Juli 1998 (41), S. 1285

Filigrane Linien in Blau bestimmen das Bild. Sie teilen sich einige Male und bilden dabei feine Verästelungen; an ihren Rändern leuchtet es hell und weiß, dahinter glüht ein sanftes blaues Licht. Es sieht fast aus wie ein Eiskristall im Gegenlicht - wären da nicht einige warme gelbbraune Flecken zwischen dem kalten Blau. Das Bild zeigt ein Blatt, fotografiert in der speziellen Technik der Korona- oder Kirlian-Fotografie und mit dem Computer weiter verfremdet.

"Lumineszenz-Grafiken" nennt Dr. med. Einar Göhring diese Bilder. Er beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Kirlian-Fotografie. Per Elektroschock und ohne Kamera entstehen seine Bilder: Göhring legt einen Film zwischen das zu fotografierende Objekt, etwa ein Pflanzenblatt, und eine isolierte Metallplatte. Den Film belichtet er durch die Entladung von Hochspannungselektrizität. Dadurch entstehen Fotos, die das Blatt umgeben von einem hellen Strahlenkranz zeigen: der "Korona", je nach der Frequenz der elektrischen Entladungen in unterschiedlicher Intensität. Göhring speichert die Bilder digital in seinem Computer und verfremdet sie weiter, bis die eigentlich fotografierten Blätter fast nicht mehr zu erkennen sind. So entstehen Lichtbilder, gemalt mit der Maus statt mit Pinsel und Palette.

kir033.jpg (29960 Byte)Die Lichtreflexe der Kirlian-Fotografie erinnern an das Elmsfeuer der Seeleute, ein bläuliches Licht, das auf den Mastspitzen und Takelagen der früheren Segler leuchtete. Die Seeleute vermuteten Geister und Kobolde dahinter, bei Shakespeare war der Luftgeist Ariel verantwortlich für die blauen Flämmchen. Tatsächlich entsteht das Elmsfeuer aus Elektrizitätsüberschüssen in der Atmosphäre, die sich durch Reibung in der Takelage entzünden: Ein simples physikalisches Prinzip, so wie auch Kirlian-Fotos nach einfachen physikalischen Regeln entstehen. Ursprünglich stammt die Kirlian-Fotografie aus der Sowjetunion: Das russische Ingenieurs-Ehepaar Semjon und Valentina Kirlian entwickelte dort in den 50er und 60er Jahren das Verfahren auf physikalischen Grundlagen aus dem letzten Jahrhundert. Der Grundgedanke der beiden Erfinder war, ihre Fotos zu Diagnosezwecken einzusetzen - zunächst bei Pflanzen, um etwa Virenbefall festzustellen, später auch in der Humanmedizin. Doch das Vorhaben scheiterte, denn Kirlian-Fotos ein und desselben Objektes sind einander fast nie gleich: Je nach Tageszeit schwanken zum Beispiel der Biorhythmus und unterscheiden sich die Stoffwechselvorgänge im Körper, und das wiederum verändert das Ergebnis der Fotografie. Daneben beeinflussen exogene Einflüsse wie Zigarettenrauch, der inhaliert wird, die Fotos. Von der Kirlian-Technik bleibt damit nur das, was ursprünglich als Nebenprodukt anfiel: die Ästhetik der Bilder. Doch auch diese hat ihren eigenen Reiz.


Artikel im PDF-Format

Zurück zur Galerie

[homepage artworx]

© (1998/2009)